Dienstag, 20. Juli 2010

Der Anfang

„Dienstreise“ nach Odessa
Tommy Führer und Peter Weiß, OT 74 Hanau

Grund der Reise waren Recherchen für das Projekt "1000 Kinder hören und sehen“ sowie die Erweiterung des Weihnachtskonvoi`s in die Ukraine und die damit verbundene Logistik vor Ort.
Oder anders formuliert: Nachdem die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, ihre Schirmherrschaft zugesagt hatte, wurde es höchste Zeit die Infrastruktur in einem für uns fremden Land sowie mögliche Unterstützung vor Ort zu klären.

Freitag, 19.03.10: Tommy und ich trafen beim Umsteigen in Warschau aufeinander - wie in guten alten Zeiten zwischen guten alten Freunden. Neu war das Ziel – wir waren beide zum ersten Mal in der Ukraine.

Mangels RT-/OT-Kontakten war uns als Ansprechpartner vor Ort Pastor Andreas Hamburg empfohlen worden. Um es gleich vorweg zu nehmen: Andreas könnte sehr gut ein vorbildlicher Tabler sein (mit besten Grüßen an alle Extension-Officers): Unkomplizierter Mailkontakt schon vor der Reise; herzlicher Empfang auf dem Flughafen Odessa; ebenso humorige wie kritische Sprüche über die Heimatstadt während einer „flotten“ Autofahrt und schließlich ohne Umwege direkt zum ersten Gespräch in der Kreisverwaltung (kein Wunder, dass es eilig war, denn auch in der Ukraine sind Verwaltungsbeamte am Freitagnachmittag normalerweise schon im Wochenende).

Dank Andreas` hartnäckiger Vorarbeit wurde wir dennoch in der Hauptverwaltungsbehörde der Region Odessa von der Leiterin für ethnische Minderheiten sowie den Abteilungsleiterinnen der Dezernate für Kinderheime und Schulwesen empfangen.

Serviceclub? RT? OT? Ok, das kleine 1x1, von ganz vorne und ganz langsam...

Schnell entwickelte sich aber dann eine angeregte Diskussion über internationale Hilfsprojekte und warum eigentlich wir eigentlich in der Ukraine helfen wollen. Sicher, es gibt die ein oder andere Einschränkung, aber im wesentlichen sei doch alles gut und schön, so die durchaus charmant formulierten Botschaften der taffen Damen...

Ein hartes Stück Arbeit also: Andreas übersetzte sichtbar engagiert offenbar alle Details meiner diplomatischen Vorstöße. Tommy appellierte schließlich mit einer Präsentation über die Historie der Weihnachtskonvois an die versammelte Gefühlswelt. Und die Mischung hat funktioniert: Nach mehr als 2 Stunden wurde uns für den nächsten Tag Zugang zu 3 Kinderheimen für seh- und hörgeschädigte Kinder sowie darüber hinaus weitreichende Unterstützung zugesagt.

Na also: Das Projekt „1000 Kinder hören und sehen“ nimmt also Formen an.

Tablertypisch wären spätestens das Verlassen des Verwaltungsgebäudes mit diesem Ergebnis der willkomme Startschuß für das 1. Bier gewesen – alternativ so weit im Osten auch der 1. Wodka.

Stattdessen brachte uns Andreas zum Homehosting ins Pfarrhaus und erläuterte uns die lutherische Kirchengemeinde St. Paul. Die Kirche war nach St. Petersburg und Moskau ehemals die drittgrößte im Russischen Reich. Das 1976 durch Brandstiftung zerstörte Gebäude wurde seit 2005 als Kirche und Deutsches Zentrum St. Paul wieder aufgebaut und Anfang April 2010 wieder eingeweiht. Die Kosten in Höhe gut 7 Millionen Euro wurden größtenteils von der bayrischen Landeskirche getragen. Bonmot oder Tragödie: Eine bayerische Delegation konnte aufgrund der Vulkanasche nicht an der Eröffnung teilnehmen.

Samstag, 20.03.10: Schnell zeigte sich am heute, dass die Verwaltungs-Chefinnen Wort gehalten hatten: Unsere Termine waren sehr gut vorbereitet. Wir wurden in allen 3 Heimen von den jeweiligen Heimleitern/-innen empfangen und die Damen und Herren waren „im Film“.

Zusammen mit unserem Übersetzter Max und Martin, einem Praktikanten des deutschen Auswärtigen Amtes, trafen wir zunächst Direktorin, Ludmila Iwanowna, in einem Internat für sehbehinderte Kinder. Mit spürbarem Stolz auf die Gerätschaften zur Augenuntersuchung präsentierte Sie uns ihre Räumlichkeiten. Die gesamte Anlage machte auf uns einen sehr guten Eindruck und wir waren angetan von ihrer Zusage, augenärztliche Untersuchungen für „1000 Kinder“ könnten hier stattfinden. Ein Erfolg, denn zentral in Odessa gelegen, können sehbehinderte Kinder aus dem Umkreis relativ leicht zu diesem Internat gebracht werden.

Direktor, Viktor Mikolaiowitsch, war ein anderes Kaliber. Er zeigte uns viel von der glorreichen Historie seines Intitutes für hörgeschädigte Kinder in den vormaligen sozialistischen Strukturen. Ob internationale Partnerschaften oder kollegialer Erfahrungsaustausch: Viktor war wohl seit Jahrzehnten dabei und irgendwie geriet unser Besuch zu einer herzlichen Gratwanderung zwischen „Staatsbesuch“ und Projektdefinition. AGM-erfahren haben wir natürlich RTD-Banner übergeben und die formellen Anforderungen dieser Art von Treffen offenbar zumindest ansatzweise erfüllt ;-)

Auch hier hatten wir den Eindruck gewonnen, dass die Ausrüstung zur Untersuchung hörgeschädigter Menschen zwar in die Jahre gekommen ist, aber letztlich noch gut funktioniert. Letztendlich können das natürlich nur Fachleute beurteilen. Wichtig aber auch hier die Zusage als Untersuchungsbasis für „1000 Kinder“ zur Verfügung zu stehen. Ähnlich die zentrale Lage innerhalb der Stadt und damit auch hier günstige Bedingungen für die Infrastruktur rund um dieses Projekt.

Am Nachmittag fuhren wir dann rund 130 km südwestlich in den sog. „Oblast Odessa“. Die Provinz Odessa besteht aus 25 Verwaltungseinheiten und bildet den Südwesten der Ukraine, mit Zugang zum Schwarzen Meer sowie Grenzen zu Rumänien und Moldavien.

Eine besondere Fahrt und Erfahrung in mehrfacher Hinsicht. 3 Stunden Fahrzeit und 2 Grenzübertritte nach Moldavien. Wer aus alter Konvoierfahrung die Straßenverhältnisse aus Ungarn oder Rumänien um die Jahrtausendwende kennt: Vergesst alles!!! Hier müssen alle Streckenplanungen und Fahrzeiten neu definiert werden!

In Saratski besuchten wir dann ein Kinderheim für 128 Waisen und lernbehinderte Kinder. Direktor, Viktor Andrewitsch Sporisch, zeigte uns die Einrichtung. Oha, kein Vergleich zu Odessa. Es war wieder einmal erschreckend für uns, als wir in diese Häuser kamen, in denen die Kinder schlafen und leben. Modrig muffiger Geruch wies überall auf ungesunden Schimmel hin, obwohl die Räumlichkeiten augenscheinlich sauber und nach Kräften gepflegt erschienen.

Die Betten und Matratzen hingegen verdienen ihre Bezeichnungen kaum mehr. Und da ich es nicht recht glauben wollte, wurde es auf Nachfrage bestätigt: Die 12 Kinder pro Raum teilen sich einen 80 cm breiten Schrank. Sorry, wenn es drastisch klingt, aber die meisten Teile in so manchem heimischen Sperrmüll wären eine deutliche Verbesserung für die Möblierung in diesem Heim. Und dies möge bitte nicht als Kritik an den Betreuern, Pflegern und anderen Mitarbeitern missverstanden werden. Diesen Leuten merkt man an, dass sie sich trotz schwierigster Rahmenbedingungen um die Kinder sorgen und bemühen.

Es fiel ihm nicht leicht, aber Direktor Sporisch sprach seinen Wunsch aus: „Noch dringender als Weihnachtspäckchen bräuchten wir für unsere Kinder Betten mit Matratzen!“ Sicherlich kann man jetzt lange darüber streiten, ob RT/OT ein staatlich geführtes Heim in der Ukraine unterstützen sollten. Angesichts des Elends war uns weder nach Streit noch nach langen Diskussionen zumute. Spontan entschieden wir uns für konkrete Hilfe und sagten mit dem Weihnachtskonvoi 2010 die „Lieferung“ von 140 Betten für das Kinderheim in Saratski zu. Egal wie man es sehen mag: Hier haben wir die Möglichkeit 128 ohnehin benachteiligten Kindern eine Portion guten Schlaf zu verschaffen. Und die ersten Angebote aus Tablerkreisen belegen wieder einmal eindrucksvoll, dass wir mit unserer Überzeugung nicht alleine sind. Danke vorab an alle, die sich engagieren wollen!

Wer eher auf Nostalgie der Dampflok oder der kaiserlichen Schifffahrt steht: Der Heizungsraum für die gesamte Anlage übersteigt garantiert jegliche Vorstellungen. Da steht tatsächlich ein älterer Herr und schippt den ganzen Tag Kohle in den Heizkessel. Als wir in diesen Raum kamen, wurden wir förmlich erdrosselt von beißendem, aggressivem Schwefelgeruch. Zwar steht da in einem anderen Raum ein etwas neuerer Kessel. Allerdings steht er wirklich nur da und ist nicht in Gebrauch. Da fehlen Rohre und Anschlüsse.

Tommy brachte es gleich auf den Punkt: Die Betten werden wir ja nicht nur abladen und dann wieder abfahren. Wenn also eine handwerklich begabte Truppe von besonders engagierten Freunden die Betten aufbaut und jemand Sachverstand für Heizungsbau mitbringt, könnten diesen Kindern im nächsten Winter nicht nur gut schlafen, sondern sich auch auf ein warmes Zuhause freuen...

Auf unserer Rückfahrt war die Stimmung deutlich beeinträchtigt und besserte quasi „schlagartig“ sich erst wieder am späten Abend: Als Wladimir Klitschko in der 12. Runde Eddy Chambers k.o. Schlug, brandete in Odessas Nachtleben dermaßen Jubel auf, als ob bei uns gerade die deutsche Mannschaft das WM-Halbfinale erreicht hätte. Schön war´s – und auch so etwas gehört zu einem Wochenende in Odessa.

Sonntag, 21.03.2010: Nach dem Frühstück nahmen Tommy und ich an der sonntäglichen Messe teil - ja, Ihr habt richtig gelesen ;-) Man konnte der versammelten Gemeinde den Stolz auf die unmittelbar bevorstehende Einweihung der neuen Kirche anmerken. Umso überraschter waren wir, als der Pfarrer die geplanten Projekte vorstellte und wir mit viel Beifall bedacht wurden.

Andreas Hamburg begleitete uns noch auf unserem Rückflug nach Warschau begleitete, da er zufällig zu einem Termin dahin musste. Eine gute Gelegenheit das Wochenende zu reflektieren und offene Themen nochmals auszutauschen.

Fazit: Die Reise der beiden „alten Säcke“ hat sich gelohnt. Weitgehende Unterstützung von 2 Serviceprojekten (der Konvoi kam in diesen Ausführungen zu kurz, wurde aber auch vor Ort in den wichtigsten Punkten verankert). Spontane Zusage eines weiteren Hilfsprojektes über 140 Betten in einem Kinderheim. Positive Resonanz auf die Aktivitäten und Ziele von RT und OT erzielt und schließlich unsere enge Freundschaft um eine weitere Facette bereichert.

Und wer noch einen „Dampfhammer“ braucht: Inzwischen sind auch die Klitschko´s mit von der Partie! Wir berichten weiter ;-)

Tommy Führer und Peter Weiß, OT 74 Hanau

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